Metaverse: Das neue Internet

Jörg Viola
Jörg Viola
Lesedauer: 4 Minuten

Beinahe hätte Martin vergessen, noch in die Gruppe zu schreiben, was er heute geschafft hat.

Zum Glück hat ihn ein blauer Pfeil, der an seiner alten Wanduhr aufleuchtet, noch daran erinnert. Mit einer lässigen Bewegung seiner linken Hand zeigt er vage auf den Pfeil, woraufhin sich ein Mikro mit Kamera von der Decke herablässt und direkt vor ihm platziert. Gelassen erzählt Martin seine kurze Zusammenfassung und endet mit "Habt ein schönes Wochenende". Als das Mikro verschwunden ist, wendet er sich nach rechts zum Fenster und klappt geübt die drei Flächen mit Diagrammen, Texten und seinen Ergebnissen zusammen. Er nimmt seine Brille ab und geht ins Wochenende.

Was heute wie Science Fiction klingt, soll nach dem Willen des Social Media Riesen Facebook in 10-15 Jahren Realität werden: Ein neues Internet. Eine offene Umgebung, in der gearbeitet, gespielt, gekauft, sich vergnügt, informiert und getroffen werden kann. Die aber nicht mehr, wie bisher, nur angesehen werden kann. Das Metaverse wird vielmehr betreten.

Daher spielt der Begriff "Mixed Reality" immer eine große Rolle, wenn vom Metaverse berichtet wird. Mixed Reality gibt es schon heute. Wann immer man durch eine Brille oder auf ein Handy- oder Tablet-Display sieht und dort die eigene Umgebung sehen kann, aber angereichert mit Gegenständen oder Informationen, die physikalisch nicht existieren. Möbel im Wohnzimmer, die man noch nicht gekauft hat. Schilder über Sehenswürdigkeiten, während man durch eine fremde Stadt läuft. Oder Richtungsangaben auf der Autobahn, sobald die Navigation gestartet ist. Diese sogenannte "Augmented Reality", angereicherte Realität, haben die großen Konzerne wie Apple und Google schon lange und in letzter Zeit vermehrt auf dem Radar. Sie bringen Hardware und Software heraus, die mit jeder neuen Version mehr kann.

Im Extremen bewegt man sich von dort in die "Virtual Reality", also die vollständig virtuelle Realität. Sie blendet die tatsächliche Realität ganz aus und erzeugt eine komplett künstliche Umgebung.

Diese Ansätze werden vom neuen Internet benutzt, um "betreten" werden zu können. Wie das heutige Internet auch ist das Metaverse ein vernetztes System von Informationen und Funktionen.

Heute kann eine Webseite gesucht, angesehen und von ihr zu einer weiteren navigiert werden. Auf manchen Seiten können Informationen eingegeben und gespeichert werden - Bilder, Chats, Dokumente usw.

Im Metaverse holt man die Informationen in seine eigene physikalische Umgebung. Sie bekommen eine konkrete Form und ein Aussehen. Und werden dadurch auf eine ganz neue Art verständlich und benutzbar.

Ein Bericht über einen Vulkanausbruch ist nicht länger ein Text mit Bildern, sondern ein 3D-Flug über den feuerspeienden Berg.

Ein Nabenschaltung für ein Fahrrad wird nicht mit Skizzen erläutert, sondern die Zahnräder schweben im 1:10 Maßstab im Raum und können von der Nabe genommen und genau angesehen werden. Und eine farbige Fläche auf einer Nabe dient als Link. Wird sie berührt, erscheinen die anderen Naben aus dem Katalog des Herstellers neben ihr mit den Informationen, warum sie besser und wie teuer sie sind. Und man kann eine von Ihnen anfassen und anstelle der vorhandenen in das Fahrrad einbauen. Es gibt keine Monitore und Tastaturen mehr. Flächen im Raum zeigen Texte und abstrakte Informationen. Die Maus wird durch die Hand und die Tastatur durch die Stimme ersetzt.

Ist das alles realistisch oder nur die Vision eines Internet-Riesen auf der Suche nach der eigenen Zukunft?

War es 1995, als immer mehr Domains angemeldet und Webseiten erstellt wurden, realistisch, dass 15 Jahre später Reisebüros und Buchhandlungen unter dem Handel im Internet ächzen?

Niemand kann die Zukunft voraussagen. Aber es ist heute kein wirkliches Problem mehr, virtuelle Objekte in der realen Welt zu zeigen. Dass Hardware sehr schnell eleganter werden kann als die heute verfügbaren AR- und VR-Brillen, haben wir alle auf der Reise vom Sonys Discman und Nokias Communicator zu iPhone und Smartwatch schnell gelernt.

Der Aufwand ist zwar riesig. Neue Hardware muss entwickelt werden. Neue Bedienkonzepte und eine unfassbase Menge von 3D-Content. Aber realistisch? - Natürlich! Nichts, was Apple, Google, Facebook und Amazon zusammen mit jeder Menge smarter Startups nicht in den Griff bekämen.

Was bedeutet das für uns heute?

Wer immer Lust hat, schon heute ein wenig mit den neuen Ideen zu spielen, geht sicher in die richtige Richtung. Wer zum Beispiel heute beginnt, 3D-Modelle für seine Produkte zu erstellen, wird sie zukünftig immer wieder gebrauchen und in immer mehr Kanäle ausspielen können. Inseln wie das "Second Life" wird es immer wieder geben. Wer heute beginnt zu verstehen, wie er reale und virtuelle Umgebungen verknüpfen kann, um einen echten Mehrwert zu bieten, wird sich in der Zukunft damit leichter tun und eine führende Rolle einnehmen können.

Martin jedenfalls ist sehr froh, dass erklärterweise eines nicht das Ziel des Metaverse ist: Die Menschen dazu zu bringen, mehr Zeit vor Computern zu verbringen. Es soll diese Zeit nur intensiver machen. Daher hat sich Martin auch schon längst auf sein - reales - Fahrrad gesetzt und geniesst sein freies Wochenende.